Archivalie des Monats

Archivalie des Monats

Archivalie des Monats - Januar 2018

Das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenn­gig sein sollen
Landesherrliche Eingriffe in die Wasserburger Ratswahlen des 16. Jahrhunderts

Die Stadt Wasserburg bekam 1507 eine neue Ratswahlordnung. Das Grundprinzip der Wahlordnung lautete wie folgt: Der Innere und der Äußere Rat be­stimm­ten jeweils eine Person aus den Reihen des jeweils anderen Gremiums, beide zusam­men schließlich noch einen Vertreter der gemein, also der Stadtgemeinde. Diese drei Wahlmänner bestimmten den neuen Inneren Rat, der neue Innere Rat daraufhin den neuen Äußeren Rat.

Ein entscheidendes Element allerdings war die starke Position des Landesherrn in dieser Ord­nung: Er hatte nämlich nicht nur Bestätigungs- und damit Eingriffsrecht in die Wahl des Inne­ren Rates, wovon die bayerischen Herzöge in Wasserburg regelmäßig Gebrauch machten. Nach Abschluss und Bestätigung der Wahlen wurden außerdem die neuen Vertre­ter auf den Herzog vereidigt. Bei der jährlichen Rechnungslegung der Stadt und der Kirche war der Pfleger als landesherrlicher Vertreter anwe­send. Und schließlich behielt sich der Herzog noch vor, die Ordnung nach gestallt der leuff zu änndern, zu mern und zu pes­sern.

Regelmäßig machten die Herzöge im 16. Jahrhundert von ihrem Verände­rungsrecht bei der Bestätigung des Inneren Rates Gebrauch. Im Stadtarchiv sind eine ganze Reihe solcher Ratswahlveränderungen mit beigefügten zetl erhalten, auf denen die herzoglichen Räte die zu ersetzenden Perso­nen, häufig auch gleich die neuen Kandidaten notierten. Von 1535 bis 1549 enthält je­de der überlieferten Bestätigungen eine Veränderung gegenüber der Wahlmitteilung. Danach sind die entsprechen­den Akten nicht mehr überliefert, Eingriffe dürfte es weiterhin gegeben haben. Die entsprechenden Schrei­ben lauten meist ziem­­­­­­­lich formelhaft gleich. Das in der Abbildung ge­zeig­te von 1540 so:

Von gottes gnaden, Wilhelm und Ludwig, gebrüder, pfaltzgrafen bey Rein, hertzogen in Obern- und Nidern-Bayern etc.

Unnsern grus zuvor. Lieben, getreuen. Wir haben ein schreiben, unns itz gethan, mit zue­schickung ewr waal ains innern rats unnser stat Wasserburg gegenwürtigs jars, nach lautt ge­gebner ordnung beschehen, innhallts vernomen, der namen wir uch hieinn verslossen wider zueschicken, doch mit verännderung dreier personen, wie ir ab der zal sehen werdet. Unnd be­stätten darauff sollich waal incrafft diß briefs, der geben unnd mit unnserm secrete gese­cre­tiert ist, in unnser stat München, den xvii. januarij anno etc. xl.o

Die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. verändern (und bestätigen in dieser veränderten Form zugleich) die Wasserburger Ratswahl von 1540. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397.
Die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. verändern (und bestätigen in dieser veränderten Form zugleich) die Wasserburger Ratswahl von 1540. StadtA Wasserburg a. Inn, I1b397.

Eine Begründung für die Ratswahlveränderungen ist eher die Ausnahme als die Regel. Ein Jahr vor dem angeführten Beispiel, bei ihrer am 3. Januar 1539 erfolgten Be­stä­ti­­gung der Wahl des just vergangenen Jahres, wa­ren die Herzöge jedoch ziemlich explizit: Die­weil unns anlanngt, heißt es da, das bei uch ettlich personen dem newen glauben anhenn­gig sein sollen, seien wir als lanndsfürsten geursacht, bey uch unnd an­dern steten und flecken […] in unnserm lannde fursehung zuthun, damit nicht nur die kai­ser­lich königlichen Erlasse be­­­achtet, sondern auch unnser hiervor derhalben außganngen ge­po­ten unnd mandaten gemäß ge­­­hanndthabt; vor allem aber khainswegs gestatt werde, solli­chen neuen glauben oder secten ein­­reisen zelassen. Also wurde es nichts mit der Bestätigung. Statt­dessen seien an den er­wöl­ten personen ännderung furgenommen unnd an der außge­tha­nen stat annder personen ver­ord­net worden, wie ir hieneben verzaichent sehen werdet. Ersetzt wurden:

Jacob Fröschel
Ruprecht Kulbinger
Wolfgang Wider Hanns Esterman
Annder Furtter→Ruprecht Heller
Hanns MayrHanns Kienperger

Die Ratswahlveränderung allerdings zogoffenbar noch weitere Kreise. Denn am 5. Mai beschwerten sich die Herzöge, der ihnen in der Ratswahlordnung zustehende Eidschwur sei ihnen bzw. ihrem Vertreter noch immer nicht geleistet worden: Weyl wir dann bericht, das durch euch die ratspflicht zuvergangen weinechten vor gewesen phleger nit beschehen, ist demnach unser maynung, das ir an unnser stat ime schwörn und phlicht thun wellet, wie hievor und bishero alltem geprauch und der pillichait nach beschehen ist, im in sei­nen gepoten und geschäfften […] yeder zeit gehorsam ze laissten.

Anderthalb Monate später fordert Herzog Wilhelm von seinen lieben getreun in Wasserburg, das ir Rueprechtn Heller zu seinem vorgehebten ratsitz bey euch zu Wasserburg wiederumbn wie hievor khomen lasset

Natürlich handelte der Rat, wie auch im Falle Ru­precht Hellers, immer wieder widerständig, meist aber wohl nicht offensiv, sondern durch Aussitzen. 1565 beschwerte sich Herzog Albrecht V., dass die Wasserburger sein Bestätigungs­recht schlicht missachteten: Dieweil wir dann für nottwendig achten, solliche erfarung von dem für Wasserburg erwellten innern rath auch ze haben, so bevelhen wir euch, das ir in maß und form wie solliches unnser instruction mitbringt, ze stundean erfarung eingleihet unnd uns darauf euren bericht unverzüglich zuekommen lasset. Da auch ainer oder mer religion halben verdacht unnd im rath deßhalben nit zugedulden were, sollet ir unns, wer an derselben stat zufurdern sein mechte eur underthenig guttachten neben obermeltem bericht zueschreiben, dann handlet ir unnserm gefelligen willen und mainung. Ganz deutlich wird hier noch ein­mal, wo für den Herzog der zentrale Sinn der Kontrolle über die Ratswahl lag: keine der religion halben Verdächtigen in den Rat kommen zu lassen.1

Prof. Dr. Hiram Kümper

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1Gekürzter Text aus: Hiram Kümper: Zwischen Landesherren und Laienkelch. Evangelische Bewegung und Gegenreformation in Wasserburg am Inn, 2017 (Sonderband der Schriftenreihe Heimat am Inn, Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur des Wasserburger Landes. Herausgeber: Heimatverein (Historischer Verein) e.V. für Wasserburg am Inn und Umgebung in Verbindung mit der Stadt Wasserburg am Inn und der Evang.-Luth. Kirchengemeinde Wasserburg am Inn), 74-79.

 

Neue Veröffentlichung zur Wasserburger Konfessionsgeschichte des 16. Jahrhunderts

Von Wittenberg und Zürich aus hat sich die evangelische Bewegung im alten Bayern rasant verbreitet. Die Herzöge zeigten sich demgegenüber zunächst abwartend, schlugen nach Bann und Ächtung Luthers aber bald einen deutlich gegenreformatorischen Kurs ein, sahen sie darin doch nicht nur eine Verpflichtung der alten Kirche gegenüber, sondern auch eine Möglichkeit, den herrschaftlichen Zugriff auf ihr Territorium zu verdichten.
In diesem Spannungsfeld zwischen Kirche, Herrschaft und bürgerlicher Selbstbestimmung spielt sich auch die Wasserburger Konfessionsgeschichte des 16. Jahrhunderts ab, über die Hiram Kümper in seinem neuen Buch berichtet. Dieses ist im Stadtarchiv und im Wasserburger Buchhandel für 13,90€ erhältlich. Mehr zum Buch: http://www.wasserburg.de/index.php?id=996&no_cache=1&publish[id]=716061&publish[start]=