Stadt Wasserburg am Inn

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Archivalie des Monats

Archivalie des Monats - Dezember 2018

Ein Speckschwein zu Weihnachten
Achatz-Stiftung versorgte einst arme Notleidende1


Das Wasserburger Heilig-Geist-Spital war nicht die einzige wohltätige Stiftung in der Stadt. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden zahlreiche weitere Stiftungen ins Leben gerufen, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise Bedürftige versorgten und damit das Spital ergänzten, das allein mit der karitativen Arbeit überfordert gewesen wäre. Vermutlich als erste dieser späteren Stiftungen entstand das Leprosenhaus bzw. Siechhaus  neben der Kirche St. Achatz auf der östlichen Innseite.

Lithografie der St. Achatz-Kirche, 1. Hälfte 19. Jh, Museum Wasserburg, Inv.-Nr. 4946 a.
Lithografie der St. Achatz-Kirche, 1. Hälfte 19. Jh, Museum Wasserburg, Inv.-Nr. 4946 a.
Es wurde für eine Gruppe Notleidender gebaut, die das Spital nicht ohne große Folgeprobleme hätte aufnehmen können, nämlich für Menschen mit ansteckenden Krankheiten, vor allem für Aussätzige, also Leprakranke. Durch ihre Krankheit aus dem bürgerlichen Leben gerissen, blieb ihnen üblicherweise nur der Bettelstab, wobei sie zusätzlich darunter zu leiden hatten, dass sie gemieden wurden und sich nicht so frei bewegen konnten wie andere Bettler, da es häufig Vorschriften gab, um Ansteckung zu verhindern. Die Einrichtung einer Stiftung für sie war daher folgerichtig.
Die Leprosenhaus war eine Art Spezialspital für Wasserburger Bürger, die an ansteckenden Krankheiten litten. Zwischen 10 und 20 Menschen kamen dort auf Lebenszeit unter, erhielten eine kostenlose Unterkunft, geistliche Betreuung und Unterstützung mit Lebensmitteln und gelegentlich auch Geld. Über die Stiftungsgründung geben die Archivalien des Stadtarchivs keine genaue Auskunft. Das Haus war offenbar von Beginn an angeschlossen an die Kirche St. Achatz, die erstmals 1403 bezeugt ist.  Möglicherweise wurden beide gemeinsam geplant und gebaut, wofür es jedoch keine Belege gibt. Die früheste Erwähnung des Leprosenhauses datiert auf 1437,  die erste erhaltene Stiftungsrechnung stammt aus dem Jahre 1483.  Gründer und hauptsächlicher Vermögensgeber der Stiftung war offenbar die Stadt Wasserburg selbst.
 
Die Stiftung besaß außer den Grundstücken der Kirche St. Achatz und des benachbarten Leprosenhauses auch die anfänglich separat betriebene Kirche St. Magdalenen, die seit dem 15. Jahrhundert bis 1786 unweit von St. Achatz am Kellerberg stand. Im 16. Jahrhundert gehörten ihr außerdem einige Krautäcker und Wiesen und sie unterhielt einen Stall mit etwas Milchvieh, vermutlich direkt am Leprosenhaus und von den Bewohnern betrieben. Der Verkauf der Kälber und gelegentlich alter Muttertiere brachte Geld ein. Die Milch wurde für die Bewohner verwendet.  Auch ein Bad, dem heilende Wirkung zugesprochen, und das wohl nicht nur für die Kranken genutzt wurde, gab es bei St. Achatz. Vermutlich ist es sogar der Grund für die Einrichtung des Hauses dort gewesen. In den Rechnungen taucht es allerdings erstaunlicherweise nicht prominent auf. Die Finanzierung der Ausgaben erfolgte hauptsächlich über Gilten auf Häuser oder – mit zunehmender Tendenz – über Zinsen auf ausgegebenes Stiftungskapital, weniger über die Eigenwirtschaft. Daneben standen Opferstöcke für die Siechen in St. Achatz und St. Magdalenen, die quartalsweise geleert wurden, üblicherweise aber nur einen Bruchteil der Erträge der Gilten lieferten. Später kamen Zahlungen von Menschen hinzu, die sich einen Platz im Haus kauften (sogenannte Pfründner), dazu gelegentliche Erbschaften zugunsten der Stiftung und Abgaben auf die Nutzung von deren Grundbesitz. Sie besaß 1680 eine Bleiche in Wasserburg und ein Gut auf dem Land.  Im Gesamtumfang war die Stiftung deutlich kleiner als die Heilig-Geist-Spitalstiftung, die bis zu 50 Menschen versorgte, was ihrem engeren Stiftungszweck entsprach.
Schon die ersten Rechnungen lassen die Stiftung in der Form erahnen, in der sie im Wesentlichen bis ins 19. Jahrhundert fortbestand. Klare Konturen gewinnt sie jedoch erst in den späteren Rechnungen, die die einzelnen Einnahme- und Ausgabeposten detaillierter beschreiben. Sie zeigen, dass das Leben im Leprosenhaus wenig komfortabel gewesen sein muss, denn anders als im Heilig-Geist-Spital wurde keine Vollversorgung der Bewohner angestrebt.



Archivalie des Monats Dezember: Rechnung St. Achatz und Magdalenen 1596, StadtA Wasserburg a. Inn, I2c468. Der flexible Pergament-Einband sekundär verwendet: Hieronymus, liber Jeremiae: Prolog, Migne, Handschrift Ende 11. Jh., nach Sabine Erzberger, Katalog der Fragmente im Stadtarchiv Wasserburg, Teil 1, Nr. 7.
Archivalie des Monats Dezember: Rechnung St. Achatz und Magdalenen 1596, StadtA Wasserburg a. Inn, I2c468. Der flexible Pergament-Einband sekundär verwendet: Hieronymus, liber Jeremiae: Prolog, Migne, Handschrift Ende 11. Jh., nach Sabine Erzberger, Katalog der Fragmente im Stadtarchiv Wasserburg, Teil 1, Nr. 7.

An Nahrung gab die Stiftung ihren Bewohnern vor allem eine wöchentliche Ration Fleisch. Im 17. und 18. Jahrhundert erhielten die Bewohner drei Pfund pro Person und Woche, das an fünf Tagen der Woche gereicht wurde.  Dies kann als großzügig gelten, denn in der Frühen Neuzeit kam Fleisch üblicherweise wegen seines Preises bei armen Menschen kaum noch auf den Teller. Die Qualität des Fleisches – vermutlich Rind – dürfte allerdings eher schlecht gewesen sein.  Dass die Bewohner stattdessen nicht mit dem Grundnahrungsmittel Brot versorgt wurden, liegt an den Essgewohnheiten der spätmittelalterlichen Gründungsphase des Leprosenhauses. Im 15. Jahrhundert war Fleisch noch relativ billig und ein übliches Nahrungsmittel. 
Neben den wöchentlichen Fleischportionen gab es Milchrationen der hauseigenen Kühe und eine wöchentliche Brotversorgung, die jedoch unbedeutend war. Es wurde pro Person und Woche ein Brot im Wert von einem Pfennig ausgegeben. Der Wasserburger Brotordnung von 1565  ist zu entnehmen, dass Roggenbrote dieses Preises je nach Getreidepreis im Gewicht zwischen 5 und 17 Lot variierten, also zwischen umgerechnet 80 und 272 Gramm. Auch wenn sich der Getreidepreis in normalen Jahren üblicherweise eher am günstigen Ende der Skala bewegte, war damit nur ein bescheidener Beitrag zur Ernährung getan. Der Kauf von Gemüse, Hülsenfrüchten oder Fisch taucht nur ausnahmsweise in den Rechnungen auf,  Obst praktisch überhaupt nicht. Üblicherweise versorgte sich das Leprosenhaus damit wohl durch bescheidene Eigenwirtschaft selbst. Tagelohn für Krauthacker ist ein regelmäßiger Rechnungsposten, der das beweist. Über weiteres angebautes Gemüse kann nur spekuliert werden.
An acht Festtagen im Jahr gab es ein Brot- und Weinmahl für die Bewohner. Zu Weihnachten wurde ein Speckschwein angekauft und geschlachtet – das einzige Schweinefleisch im Jahr – und außerdem versorgte die Stiftung das Haus mit dem nötigen Brennholz, Salz und 3 Fudern Rüben jährlich, letztere vermutlich als Viehfutter.  Einmal im Quartal wurde außerdem eine festgelegte Summe Geld unter den Bewohnern verteilt. Die ausgezahlten Summen pro Person waren jedoch äußerst niedrig.
Da die Versorgung im Haus allein nicht ausreichte, waren die Bewohner für ihr täglich Brot auf das Betteln angewiesen. Als Kranke konnten sie keinem Handwerk nachgehen, selbst wenn es ihre Gesundheit noch zugelassen hätte. Wie sie selbst in einer Petition an den Rat darstellten, bettelten sie üblicherweise nur an vier besonderen Tagen im Jahr – dem Sonntag Reminiscere, zu Pfingsten, an Michaeli und an Weihnachten – Bettelort war die Innbrücke.
Das Leprosenhaus als kleines Spezialspital für Leprakranke bot keine so gute Versorgung, wie das Heilig-Geist-Spital, verbesserte aber die Lebenssituation seiner Bewohner entschieden. Die Pfründner hatten nach ihrem Einkauf einen festen und im Winter beheizten Wohnsitz bis zum Lebensende, dazu einen Grundstock an Nahrung. Dazu kamen gelegentliche Geldgaben. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass das Betteln im Rahmen der Leprosenhausstiftung einfacher gewesen sein dürfte und sich auf wenige Tage im Jahr konzentrierte, bei denen die Bürgerschaft wusste, dass die Siechen sie um Geld bitten würden. Für die Stadt lag der Nutzen der Stiftung in der Isolierung der Kranken und dadurch in der erhofften langfristigen Eindämmung der Krankheit. Durch die Zurückdrängung der Lepra wandelte sich das Leprosenhaus bis spätestens Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem normalen Pfründnerhaus ähnlich dem Spital, in dem keine infektiösen Kranken mehr lebten. Vermutlich bestand wegen der unterschiedlich guten Versorgung eine deutliche Hierarchie zwischen Heilig-Geist-Spital und Leprosenhaus. Zumindest für wohlhabendere Wasserburger dürfte letzteres kaum als angemessener Aufenthaltsort für die letzten Lebensjahre in Frage gekommen sein wird. Dafür spricht auch, dass in den Quellen gelegentlich der Begriff Armenhaus für das Leprosenhaus verwendet wird.


Dr. Christoph Nonnast

1Tipp zum Weiterlesen/Der Text dieser Ausgabe der Archivalie des Monats ist der neuesten Buchveröffentlichung des Stadtarchivs entnommen:

Nonnast, Christoph, Armenwesen und wohltätige Stiftungen in Wasserburg am Inn, 1300-1800, Herausgeber: Stadt Wasserburg a. Inn, Stadtarchiv, Veröffentlichungen des Stadtarchivs, Nr. 6, Wasserburg 2018. (ISBN 978-3-947027-02-6). Broschur, 168 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, 13,20€. Erhältlich im Stadtarchiv und im Wasserburger Buchhandel. (Siehe dort sowie auch in hier anhängender pdf.-Datei der Archivalie des Monats die Einzelnachweise der Literatur- und Archivquellen.)

Zum Inhalt des Buches:
Die aufstrebenden Städte des späten Mittelalters erzeugten bis dahin ungekannten Wohlstand, aber auch vermehrt arme und entwurzelte Menschen. Zur Abhilfe gründeten Bürger und Räte wohltätige Stiftungen. Zugleich waren Arme zunehmend Ziel obrigkeitlicher Regulierung. In der wohlhabenden Handelsstadt Wasserburg gab es neben dem bekannten Heilig-Geist-Spital jahrhundertelang eine ganze Reihe weiterer wohltätiger Stiftungen. Sie waren spezialisiert und ergänzten sich in ihrer Arbeit: Vollversorgung im Spital, regelmäßige Unterstützungszahlungen, Tuchspenden, Aussteuerfonds, Stipendienplätze und kostenlose Krankenbehandlung gehörten zu den vorhandenen Angeboten, die dennoch nicht genügten, die Bettelei in der Stadt überflüssig zu machen, allen Verboten zum Trotz. Die Tätigkeiten der Stiftungen verraten viel über die sozialen Nöte in fast 500 Jahren Stadtgeschichte. Ebenso über die Bemühungen und Missbräuche des Rats, der die Stiftungen verwaltete, und die des bayerischen Staats, der ebenfalls mit Vorschriften und Kontrollen seine Vorstellungen eines effizienten Armenwesens durchzusetzen versuchte. Nicht zuletzt spiegeln die Stiftungsrechnungen die ökonomischen Höhen und Tiefen der Stadtgeschichte und Wasserburgs Niedergang von einer bedeutenden Handels- zur darbenden Landstadt im 18. Jahrhundert.